Einkaufsverhalten

Wie viel Freiwilligkeit verträgt nachhaltiger Konsum?

Konsum ist ein zentrales Handlungsfeld für eine nachhaltige Entwicklung. Doch umweltverträgliche Produkte fristen insgesamt immer noch ein Nischendasein. Welche Instrumente könnten dazu beitragen, nachhaltigen Konsum zum Mainstream zu machen? Das analysieren die Ökologisches Wirtschaften-Autor*innen Myriam Steinemann, Beatrice Ehmann, Corinna Fischer, Gerolf Hanke und Ina Rüdenauer.

07.04.2022

Wie viel Freiwilligkeit verträgt nachhaltiger Konsum? | Wirtschaft nachhaltiger Konsum Bio-Produkte Konsumverhalten

1. Nachhaltigem Konsum zum Mainstream verhelfen

Das Nationale Programm für nachhaltigen Konsum der Bundesregierung möchte nachhaltigen Konsum „von der Nische zum Mainstream befördern“ (BMUB et al. 2017). Der Mainstream liegt allerdings für viele umweltfreundliche Produkte noch in weiter Ferne. Dies zeigt der Konsumindikator der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie, welcher den Marktanteil von Produkten mit staatlichen Umweltzeichen misst.

Ziel der Bundesregierung ist es, den Marktanteil von Produkten mit staatlichen Umweltzeichen bis 2030 auf 34 % zu erhöhen. Dieser Zielwert würde bei der aktuellen Marktentwicklung klar verfehlt.

Statistik zur Entwicklung des Konsumindikators »Marktanteil von Produkten mit staatlichen Umweltzeichen«
Entwicklung des Konsumindikators »Marktanteil von Produkten mit staatlichen Umweltzeichen«. Quelle: Berechnungen des Umweltbundesamtes 2021
 

Nach einem kontinuierlichen Wachstum bis 2016 ist der Marktanteil von Produkten mit staatlichen Umweltzeichen wieder gesunken und lag im Jahr 2019 bei lediglich 7,9 %. Der Konsumindikator hat bisher kaum politische Relevanz entwickelt. So kann etwa das Nationale Programm für nachhaltigen Konsum bisher kaum nennenswerte Erfolge vorweisen.

Ein wichtiger Grund dürfte unter anderem sein, dass das Programm überwiegend sogenannte „weiche Maßnahmen“ umfasst, welche zur Förderung eines nachhaltigen Konsums nicht ausreichen (Wolff et al. 2020). Des Weiteren fehlt dem Programm ein expliziter Bezug auf den Konsumindikator und den Zielwert.

2. Zusammenspiel freiwilliger Instrumente mit verbindlichen, harten Instrumenten

Politik für nachhaltigen Konsum basiert in der EU bisher primär auf weichen Instrumenten (Pollex 2017). Dazu gehören informationsbasierte, verhaltensorientierte und kooperative Instrumente wie Produkt-/Verbraucherinformationen oder freiwillige Selbstverpflichtungen und Vereinbarungen von Herstellern oder Handel. Die staatliche Eingriffstiefe solcher Instrumente ist gering, daher sind sie in der Regel einfacher einzuführen. Dagegen weisen harte Instrumente wie verbindliche Produkte- oder Produktionsstandards und ökonomische Anreize wie Steuern für nicht-nachhaltiges Verhalten eine größere Eingriffstiefe auf. Sie sind allgemeinverbindlich und in der Umsetzung sanktionierbar, stoßen deshalb aber oft auf geringere Akzeptanz (Wolff et al. 2020).

Auch wenn weiche Instrumente für sich allein nicht ausreichend sind, um nachhaltigem Konsum zum Mainstream zu verhelfen, sind sie als Teil eines Instrumentenbündels wichtig. Sie können zum einen Transformationsprozesse für nachhaltigen Konsum fördern, indem sie zum Diskurs von Zukunftsfragen beitragen und Verständnis für nachhaltigen Konsum fördern. Zum anderen können sie die Einführung, Umsetzung und Weiterentwicklung von harten Instrumenten und finanziellen Steuerungsinstrumenten unterstützen, flankieren und dynamisieren (ebd.). Anhand drei zentraler Produktgruppen, die im Konsumindikator vertreten sind, wird illustriert, welche Rolle freiwillige Instrumente zur Förderung eines nachhaltigen Konsums spielen können.

Bio-Lebensmittel

Der Marktanteil von Bio-Lebensmitteln ist seit 2012 zwar kontinuierlich gestiegen, liegt aber mit 6,4 % im Jahr 2020 (BÖLW 2021) noch immer auf tiefem Niveau. Wichtigstes Hemmnis für eine höhere Marktdurchdringung ist die große Preisdifferenz zwischen Bio- und konventionellen Produkten. Ohne regulative politische Maßnahmen wie die Ökologisierung der europäischen Gemeinsamen Agrarpolitik ist eine hohe Marktdurchdringung von Bio-Lebensmitteln nicht zu schaffen.

Mehrere Schilder mit der Aufschrift "Bio nach EG-Öko-Verordnung" an einem Supermarktregal, in dem Bio-Honig steht
 

Allerdings können solche Regulierungen durch weiche informatorische Instrumente vorbereitet und in ihrer Wirkung verstärkt werden. Mögliche Ansätze zur Förderung der Marktdurchdringung sind die Initiierung einer Branchenvereinbarung der großen Einzelhändler mit einem gemeinsamen Zielwert für den Umsatzanteil mit Bio-Lebensmitteln, die Lancierung einer staatlich getragenen Kampagne sowie Information und Schulung zur Förderung von biologischen Lebensmitteln in der Außer-Haus-Verpflegung (Hanke 2021).

Effiziente Haushaltsgeräte

Für Haushaltsgeräte ist die Kennzeichnung mit dem EU‑Energielabel, welches über Energieverbrauch und Energieeffizienz Auskunft gibt, gesetzlich vorgeschrieben. Das Energielabel ist der Haupttreiber für den Absatz besonders effizienter Geräte. Durch die leichte Erfassbarkeit des Labels wurde es von Anfang an gut angenommen, sodass eine besonders gute Energieeffizienzklasse rasch zu einem relevanten Kaufkriterium wurde (Rüdenauer/Fischer 2021). 2019 lag der Marktanteil besonders effizienter Geräte (A++++++-Geräte) für Kühlgeräte bei 28 %, Gefriergeräte bei 36 % und für Waschmaschinen sogar bei 87 % (GfK 2020).

Freiwillige Instrumente haben für diese positive Marktentwicklung eine nicht unwichtige Rolle gespielt. Auf der regulatorischen Seite gibt es mit dem verpflichtenden EU‑Energielabel und der Verknüpfung mit der EU‑Ökodesign-Richtlinie, mittels der regelmäßig die am wenigsten effizienten Produkte vom Markt genommen werden, ein starkes Instrumentenset.

Eine Waschmaschine, ein Backofen und ein Kühlschrank vor einer blauen Wand. Daneben sind die Kategorien A-G der Energieeffizenzklassen als bunte Striche dargestellt.
 

Gleichzeitig wurden diese harten Maßnahmen durch eine Vielzahl weicher Maßnahmen begleitet, etwa durch Förderprogramme der Bundesregierung zur Erhöhung der Nachfrage sowie umfangreiche Informationen für Verbraucher/innen, Unternehmen und Kommunen (Wolff et al. 2020). Hersteller und Handel haben das Label zudem stark mitgetragen. Haushaltsgerätehersteller betrachten das Energielabel als Marketinginstrument und Energieeffizienz als relevantes Differenzierungsmerkmal ihrer Produkte. Und der Handel fördert mit der Listung und Vermarktung besonders effizienter Produkte deren Absatz.

Auch künftig dürften informatorische Maßnahmen wichtig bleiben. Für verschiedene Produktgruppen gilt seit März 2021 das neue Energielabel mit anderen Abstufungen. Diese „Reskalierung“ muss den Verbraucher/innen erläutert werden. Für die konkrete Kaufsituation bleibt der Bedarf an Kommunikationsmaßnahmen wie Verbraucherinformationen und Vergleichsportalen weiterhin hoch (Rüdenauer/Fischer 2021).

CO2-effiziente Fahrzeuge

Im Unterschied zu den Haushaltsgeräten war bei Fahrzeugen lange Zeit kein Trend zu hocheffizienten Modellen zu erkennen. Nur gerade bei 9,9 % lag der Marktanteil besonders effizienter A++-Fahrzeuge im Jahr 2019, nachdem dieser 2016 noch bei 14,4 % gelegen hatte (Berechnungen UBA). Gründe dafür waren der anhaltende Trend zu verbrauchsstarken SUVs, die bescheidenen Wirkungen regulatorischer und steuerlicher Instrumente, der Dieselskandal und die noch geringe Bedeutung von Fahrzeugen mit alternativen Antrieben.

Die CO2-Effizienzkennzeichnung spielte als Kaufkriterium eine geringe Rolle. Das Label wurde von unterschiedlichen Akteuren wie Automobil- und Umweltverbänden nicht mitgetragen, da nicht die absoluten, sondern relative CO22-Emissionen ins Bewertungsschema eingeflossen sind. Es wurde auch in Verbraucherinformationen und in der Werbung wenig eingesetzt (Steinemann et al. 2020). Ab 2020 ist eine markante Zunahme von Marktanteilen effizienter Fahrzeuge festzustellen.

Elektorauto werden an einer Ladesäule auf der Straße geladen
 

2020 lag der Anteil der A++-Fahrzeuge gemessen an den Neuzulassungen bereits bei 26,2 %, mittlerweile liegt er über 30 % (Kraftfahrt-Bundesamt 2021). Dies hat aber wenig mit dem Label an sich zu tun, sondern mit dem massiven Aufwärtstrend der Elektroantriebe, welcher durch wirksame Maßnahmen wie schärfere Flottengrenzwerte, höhere steuerliche Anreize und Fördermaßnahmen ermöglicht wurde.

Das Beispiel zeigt: Informatorische Maßnahmen zu Labels entfalten kaum Wirkung, wenn Nutzen und Qualität des Labels hinterfragt werden. Gemäß Referentenentwurf zur Novelle der Pkw-Energieverbrauchskennzeichnungsverordnung (Pkw-EnVKV) vom 11. 6. 2021 soll das neue Pkw-Label künftig gar keine Effizienzklassen mehr ausweisen (BMWi 2021). Der Bedarf an leicht verständlichen, transparenten Informationen zu CO22-Emissionen dürfte damit noch größer werden.

3. Fazit

Um den nachhaltigen Konsum voranzubringen, bedarf es eines Sets von Maßnahmen, welche harte und weiche Instrumente intelligent kombinieren (Wolff et al. 2020).

Wo dieses Zusammenspiel funktioniert hat, konnte der Marktanteil umweltfreundlicher Produkte substanziell erhöht werden. Damit sich auch weitere umweltfreundliche Produkte aus der Nische verabschieden und zum Standard werden, sollten harte Instrumente gezielt mit weichen, unterstützenden Instrumenten ergänzt werden. Das Nationale Programm für Nachhaltigen Konsum sollte künftig verstärkt auf solche Instrumentenbündel setzen, damit Maßnahmen zugleich wirksam, durchsetzbar und sozial akzeptiert sind.

4. Literatur

  • BMUB/BMJV/BMEL (Hrsg.) (2017): Nationales Programm für Nachhaltigen Konsum. Berlin, Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz.
  • BMWi (2021): Referentenentwurf des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie zur Änderung der Pkw-Energieverbrauchskennzeichnungsverordnung.
  • BÖLW (2021): Zahlen, Daten, Fakten: Die Bio-Branche 2021. Berlin, Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft.
  • GfK (2020): Marktdaten Haushaltsgeräte 2012–2019 (unveröffentlicht).
  • Hanke, G. (2021): Bio-Lebensmittel: Marktentwicklung und freiwillige Instrumente zur besseren Marktdurchdringung. Fallstudie im Auftrag des Umweltbundesamtes.
  • Kraftfahrt-Bundesamt (2021): Monatliche Neuzulassungen August 2021. Flensburg, Kraftfahrt-Bundesamt.
  • Pollex, J. (2017): Regulating Consumption for Sustainability? Why the European Union Chooses Information Instruments to Foster Sustainable Consumption. In: European Policy Analysis 3/1: 185–204.
  • Rüdenauer, I./Fischer, C. (2021): Haushaltsgeräte: Marktentwicklung und freiwillige Instrumente zur besseren Marktdurchdringung. Fallstudie im Auftrag des Umweltbundesamtes.
  • Steinemann, M./Ehmann, B./Iten, R./Suter, D. (2020): CO22-effiziente Fahrzeuge: Marktentwicklung und freiwillige Instrumente zur besseren Marktdurchdringung. Fallstudie im Auftrag des Umweltbundesamtes.
  • Wolff, F./Fischer, C./Brunn, C./Grießhammer, R. (2020): Weiterentwicklung des Nationalen Programms für nachhaltigen Konsum: Handlungsempfehlungen (Teil 2), Instrumente für nachhaltigen Konsum. Texte 209/2020. Dessau-Roßlau, im Auftrag des Umweltbundesamtes.

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Wie gelingt der Übergang zur »Circular Economy«?

• Standpunkt: Faire Preise für Erzeuger
• Neue Konzepte: Shaping business sector transformations
• Aktuell: Nachhaltigkeit und Digitalisierung  

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